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Karriereberatung  in verunsichernden Zeiten

Von Brigitte Scheidt

„Ich höre mir kaum noch Nachrichten mehr an, ich kann das alles nicht mehr hören, mir ist das alles zu viel.“ Solche und ähnliche Sätze höre ich vermehrt in meinem Umfeld, privat wie in der Beratung. Sie auch? Angestrengtheit und Besorgnis sind offen oder latent weit verbreitet. Sie erfassen immer mehr Leute. Diese Gefühle gehen nicht einfach weg, man kann sie nicht mehr vermeiden, Eskapismus reicht auch nicht weit: Trump ist immer noch da, der Ukrainekrieg, ein Ende ist nicht klar, die deutsche Wirtschaft, wann kommt sie in Schwung, Klimakrise, tun wir genug, Demokratie, wie stabil ist sie und natürlich die Auswirkungen von KI, Fachkräftemangel und gleichzeitig Entlassungen, gibt es meinen Job demnächst noch, u. a.?

Bis auf den letzten Punkt – 

was hat das alles mit Karriere/ Karriereberatung zu tun?

Diese gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen und diese Realitäten haben bewusst oder unbewusst Auswirkungen auf die Befindlichkeit von Menschen und unter diesen Bedingungen findet eben Beratung und Coaching statt. Wenn Beratung wirklich empowern und hilfreich sein will, erfordert dies von Beratern und Beraterinnen  m. E. diesen Kontext mitzudenken und ggf. aktiv einzubeziehen, denn diese Gefühle sind in den Beratungen latent gegenwärtig, ob ausgesprochen oder nicht und verursachen im unterschiedlichen Ausmass Stress.

Menschen tendieren je nach Vorerfahrung mit solchen Stresssituationen unterschiedlich umzugehen. Da sind – grob eingeteilt – die einen, die sich tendenziell schnell ausgeliefert fühlen, eher ängstlich und besorgt reagieren, entsprechend möglichst Risiken vermeiden, denen es schwer fällt sich Neuem und Veränderungen zu öffnen. Andere wiederum, können Ohnmachtsgefühle kaum ertragen, neigen eher zu schnellen, manchmal auch übereilten Handlungen und Entscheidungen. Zwischen diesen Polen gibt es viele Grauabstufungen, auf die zu blicken es sich lohnt.

Zur Professionalität von uns Beratern und Beraterinnen gehört es natürlich dazu, sich selbst immer wieder klar über die eigene Besorgtheit und das eigene „Angefasstsein“ zu  werden und sich bewusst zu machen, mit welchen Mustern reagiert jeder/ jede auf solch latenten Stress (Empörung, Verdrängung, Ignoranz, Wird-Schon-Gut-Gehen, sich Zumachen (mit und ohne Mittel) Resignation,) und welche konstruktiven Wege stehen zur Verfügung – uns aber auch unseren Klienten.

Für die Beratung können diese Themen direkt zentral werden, wenn die diffuse Besorgnis die Handlungsfähigkeit  von Klienten lähmt.

KarriereberaterInnen als Risikoscouts

Welche Hilfestellungen können wir KarriereberaterInnen für den Umgang mit dieser verunsicherten und verunsichernden Welt anbieten?

Wir können unsere Klienten unterstützen, die eigene Nahwelt aufzuräumen:

Die Besorgtheit erweist sich bei genauer Betrachtung oft als ein eher schwammiges Gefühl. Hier hilft es mit den Betreffenden die Befürchtungen herauszudestillieren. Was genau befürchtet jemand? Gelingt es aus diffusen Ängsten die dahinter liegende Furcht zu benennen, so wird sie besprechbar und man kann (in der Beratung) einen Weg entwickeln damit umzugehen. Dazu erweist es sich m.E. ein quasi Dreiklang als hilfreich: die jeweils dahinter liegenden Konstrukte zu untersuchen, die Muster zu erkennen und Ressourcen und Energie zu aktivieren.

Zu Konstrukten

Zentral erscheint mir die Klienten zu unterstützen sich mit ihren diesbezüglichen Konstrukten auseinander zu setzen. Mit welchen Überzeugungen blickt jemand auf die Welt, was glaubt er/sie über sich, die eigene Rolle, die eigene Möglichkeiten usw.. Das, was wir glauben, was für uns denkbar erscheint, bestimmt unsere Realität. Der angeleitete Blick auf „die innere Landkarte“ kann den Betreffenden mehr Klarheit und Draufsicht auf die eigene Situation und Möglichkeiten zu gewinnen. Fragen wie: Wie könnte man es auch sehen? Wo könnte man sich genauer informieren? Macht es einen Unterschied, wenn man mit anderen darüber redet. Welche Vorteile hat ggf. das jeweilige Konstrukt? bieten sich dafür an.

Zur Mustererkennung

Menschen haben in der Regel eingeschliffene Verhaltensmuster, mit denen sie auf ähnlich eingeschätzte Situationen reagieren, bzw. wie sie mit damit verbundenen Gefühlen wie Angespanntheit, Stress oder Besorgnis umgehen. Die jeweiligen Muster im Rahmen von Beratung zu erkennen und untersuchen, kann die Klienten unterstützen eine Draufsicht zu gewinnen und wieder handlungsfähig zu werden, Muster können infrage gestellt, auf ihre Plausibilität und Effektivität hin betrachtet werden. Beispielsweise hat jemand die Tendenz sich bei Problemen zu zumachen, kann es hilfreich sein, eigene Kriterien zu entwickeln, wann dieses Verhalten kontraproduktiv sein könnte.

Tankstellen

Natürlich sollten die Energiequellen nicht vergessen werden. Hier hilft  die Suche nach den speziellen Tankstellen, denn in unsicheren Zeiten ist es zentral, die eigenen Ressourcen zu aktivieren. Was genau gibt jemandem Energie und Kraft? Was bringt einen zum Lachen? So kann man durch die bewusste Nutzung dieser Tankstellen etwas für die eigene Resilienz tun.

Autoreninformation

Brigitte Scheidt ist Diplompsychologin und Psychologische Psychotherapeutin und hat sich als Karriereberaterin auf berufliche Neuorientierung sowie auf entwicklungsorientiertes Coaching spezialisiert. Sie ist Mitglied der DGFK e.V.

Es braucht Ohnmachtskompetenz um in der Unordentlichkeit der Welt handlungsfähig zu bleiben

Von Brigitte Scheidt

Haben Sie auch das Gefühl, früher war die Welt einfacher, es wird immer komplizierter und komplexer? Wenn Sie das bejahen, haben Sie vermutlich recht. Krisen, Kriege, Katastrophen, Klima, KI – Fluch oder Segen – der gesellschaftliche Zusammenhalt wird weniger, autoritäres Denken nimmt zu, der Planungshorizont in Wirtschaft und Politik wird zwangsläufig kürzer. Das Gefühl von Unsicherheit macht sich breit. „Ich kann es nicht mehr hören, ich mag die Nachrichten nur noch portionsweise aufnehmen.“, sagen uns Klienten. „Change is always a mess“ und Veränderungen sind immer auch anstrengend. Das war schon immer so. Jetzt verlaufen die Prozesse aber disruptiv, plötzlich und wenig kalkulierbar. Sprachen wir vor wenigen Jahren noch von der VUCA-Welt (volatility, uncertainty, complexity und ambiguity), so kennzeichnet das englische Akronym BANI die Veränderung hin zu einer Welt, die durch Brüchigkeit, Angst, Nicht-Linearität und Unbegreiflichkeit gekennzeichnet ist. Dies macht etwas mit uns Menschen.

Sich verunsichert bis ohnmächtig zu fühlen, führt zu mangelnder innerer und auch äußerer Stabilität. Die innere Orientierung ist verloren gegangen und damit auch projektive Zugehörigkeiten. Gerade Corona oder auch der Brexit haben gezeigt, wie schnell Zusammengehörigkeit zerbrechen kann, wenn die Grundkonfluenz nicht mehr gegeben ist, in Hinsicht auf gemeinsame Vorstellungen und Verbindlichkeiten.

Wir wissen in vielem nicht (mehr) Bescheid, Orientierung fehlt. Es gibt weniger, worauf wir uns (noch) verlassen können. Selbstverständlichkeiten werden in Frage gestellt, Berufe und Kenntnisse verlieren in kurzer Zeit ihre Bedeutung. So kommt beispielsweise eine DIW-Studie (DIW Newsletter 28.08.2024) nach Auswertung von über einer Million ausgeschriebener Aufträge für Freiberufler*innen auf Online-Plattformen zum Ergebnis, dass die Nachfrage nach digitalen, automatisierungsanfälligen Aufträgen im Durchschnitt acht Monate nach Einführung von ChatGPT um ein Fünftel zurückgegangen ist. Diese Umwälzungen betreffen natürlich nicht nur Freiberufler, sondern analog auch qualifizierte Angestellte. Auch in den Betrieben schreiten die großen Transformationen voran – nur welche ist jeweils die Richtige?

Im Rahmen dieses Karrierespots kann das Thema nur angerissen werden und es geht auch nicht darum, Katastrophendenken heraufzubeschwören, sondern Anregungen zu geben: Wie geht man mit und in Situationen um, die durch Unschärfe und Nichtwissen gekennzeichnet sind?

Was passiert mit uns?

Unsere eigenen gängigen Erwartungen an Planung und Vorhersehbarkeit, unser bisheriger Umgang mit Problemen greifen immer weniger – und das gilt für alle (Hierarchie-) Ebenen, denn die alten Antworten und Methoden sind angesichts der Herausforderungen in Frage gestellt. Dies ist u.a. auch kränkend, weil erworbenes Wissen und vertiefte Fähigkeiten durch die neuen Anforderungen entwertet werden. Selbstbilder werden stark angekratzt, ich wusste und musste immer Bescheid wissen und nun stehe ich ratlos herum. Niemand weiß, wie die Welt in zwei oder fünf Jahren sein wird, wirtschaftlich, geopolitisch, politisch und sozial. Und dies alles wirkt verunsichernd bzw. macht hilflos – und wie wir alle wissen, gehen Menschen mit Hilflosigkeit und Ohnmachtsgefühlen sehr unterschiedlich um.

Unsere Welt ist ungeübt in der Ohnmachtskompetenz.

Es gilt zu lernen, mit der eigenen Verunsicherung und den damit einhergehenden Gefühlen positiv umzugehen, um unter Berücksichtigung der Besonderheit der einzelnen Person handlungsfähig zu bleiben oder zu werden. Wir müssen dazu Ohnmachtskompetenz entwickeln. Wenn es die neue Normalität ist, dass wir einfach nicht Bescheid wissen können und dass beispielsweise langfristige Planung und auch manche Prozesse schnell wieder hinfällig werden, dann ist Ohnmachtskompetenz meines Erachtens ein vielversprechender Weg, um wieder Selbstwirksamkeit zu spüren. Dafür gibt es verschiedene Schritte, die ich hier kurz skizziere.

Mustererkennung

Um Ohnmachtskompetenz bewusst zu gewinnen hilft es, sich mit den eigenen Mustern auseinanderzusetzen. Ich kann nur etwas ändern, dessen ich gewahr bin.

Es hilft, schon mal das Klagen, dass es so ist wie es ist, einzustellen bzw. zu begrenzen. Dinge sind im Fluss und ändern sich schnell. Der Wunsch nach Routinen und klaren Prozessen ist verständlich aber für diese sich schnell ändernde Welt nicht passend. Daher, was kann man tun, um sich in dieser unordentlichen Welt so zu verhalten, dass es einem gut geht und man agieren kann?

Am Anfang hilft wie immer eine Bestandsanalyse:

Dazu kann man untersuchen, wie gehe ich mit meinen Unsicherheits- bzw. Ohnmachtsgefühlen um. Also, was mache ich üblicherweise wie per Autopilot, wenn ich nicht weiterweiß?

Neige ich dazu, etwas zu machen, um wieder Selbstwirksamkeit zu gewinnen? Vermeide ich? Werde ich aggressiv? Trinke ich mich zu? Tanze ich die Nächte durch? Informiere ich mich, denken Sie an den Corona-Podcast von Drosten? Suche ich Menschen, mit denen ich klagen kann? Suche ich Rat bei anderen? Feiere ich, denn es kann immer mal das letzte Fest sein? Usw.!

Menschen haben, bewusst oder unbewusst, unterschiedliche Strategien, um Ohnmachtsgefühle zu reduzieren oder nicht zu spüren. Im Hintergrund kann man meist weitere Gefühle wie Scham, Ärger, Enttäuschung über sich oder/und die anderen entdecken.

Auf das agile Mindset kommt es an

Mehr Wissen über Situationen hilft in der Regel, doch es kommt besonders auf das Mindset der Handelnden an und damit auf die Person. Neben der Identifizierung der eigenen Muster gilt es, sich den eigenen (negativen) Gefühlen zu stellen. Das könnte z.B. heißen: Ja, auch ich als Entscheider:in habe Angst und ich fühle mich schlecht, weil ich keine Antwort weiß. Es ist zentral, die eigenen Gefühle zuzulassen und anzunehmen, und auch „gnädig“ und geduldig mit sich zu sein.

Wenn Sie sich mit dem Thema Ohnmachtskompetenz vertiefter auseinandersetzen wollen, dann sind Sie als Person direkt gefragt. Uns bleibt nur, eine eigene Orientierung zu entwickeln, um mit Nichtwissen und Unschärfen in dieser BANI-Welt umzugehen. Es geht nicht darum, es „richtig“ zu tun, sondern das – nach den eigenen Kriterien – Richtige und immer wieder auf Sicht zu fahren. So sind wir in der Lage, unter Unsicherheit zu entscheiden und gegenüber Dritten und uns selbst dazu zu stehen.

Sich zu kennen und die eigenen Annahmen zu hinterfragen, immer wieder reflexive Schleifen ins Handeln einzubauen, sind dafür Voraussetzungen. So bildet sich nach und nach ein agiles Mindset aus, das es ermöglicht, flexibel und situativ auf sich ständig verändernde Gegebenheiten zu reagieren.

Erste hilfreiche Fragen, um das Augenmerk auf sich selbst zu richten, können für den Anfang sein:

  •  Wie treffe ich meine Entscheidung?
  •  Was sind meine Kriterien und wodurch und durch wen sind sie bestimmt?
  •  Was sind meine handlungsanleitenden Werte?
  •  Sind es wirklich meine eigenen Werte?

 Wie kann ich meine Muster verändern

Um Selbstwirksamkeit und Handlungsfähigkeit zu erreichen, ist es in Zeiten von Orientierungslosigkeit hilfreich, wie schon angerissen, bei sich anzufangen. Fragen Sie sich: Was tut mir gut? Wirklich gut!

Nachdem Sie Ihre Muster identifiziert haben, stellt sich die Herausforderung: Also was könnte ich an meinem Verhalten ablegen, verändern, an neuen Verhaltensweisen riskieren?

Dazu ist es meist hilfreich sich umzutun und zu schauen, wie gehen andere mit ihrem Nichtwissen, mit Unschärfen um. Was könnte ich gut gebrauchen, mir abgucken, zum Vorbild nehmen?

Neben ggf. der Einführung von Entspannungstechniken und der Vertiefung von Selbstberuhigungsfähigkeiten, könnten Sie entdecken, dass Andere ganz bewusst die eigenen Annahmen hinterfragen. Manche stellen sich immer wieder die Frage, wie kann ich etwas auch sehen (Perspektivwechsel). Andere denken Dinge gegen den Strich, manch einer baut auf Schwarmintelligenz, teilt Probleme mit anderen. Es gibt viele weitere Strategien im Umgang mit sich in der BANI-Welt. Entdecken Sie, was Sie unterstützt. Fangen Sie mit ein oder zwei Aspekten an, die Sie ansprechen. Bedenken Sie: Neues zu integrieren braucht Zeit. Machen Sie Ihre Erfahrungen, werten Sie diese aus, gönnen Sie sich, (sich) auszuprobieren. Was dann trägt, gilt es durch Wiederholungen zu verfestigen.

Autoreninformation

Die Diplompsychologin und Psychologische Psychotherapeutin Brigitte Scheidt ist langjähriges Mitglied der DGfK e.V. Sie berät Menschen bei beruflicher Neu- und Umorientierung.

Erfolg ist das Ergebnis vieler Misserfolge

Von Brigitte Scheidt

In diesem Interview, das die Journalistin Ursula Kals für die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit der Psychologin und Karriereberaterin Brigitte Scheidt geführt hat, erfahren Sie u.a., dass „Scheitern“ primär eine Frage der eigenen, subjektiven Bewertung ist. 

Viele Menschen haben Angst, zu scheitern. Scheitern ist häufig mit Scham besetzt, nicht mit Lernen, persönlicher Entwicklung oder einfach auch „besser machen“ im Sinne von „lesson learned“. Wenn die kleinen und großen Pläne nicht aufgehen – und sie gehen oft nicht auf – besteht die Herausforderung darin, dies als Erfahrung anzunehmen und ins eigene Selbst zu integrieren.

Misserfolge müssen einem nicht Wochen, Monate und gar Jahre nachhängen. Durch konstruktiven Umgang mit Misserfolgen lassen sich Schäden am Selbstwertgefühl oder falsche Stigmata vermeiden. Stattdessen kann man sogar gestärkt mit neuen Erfahrungen und neuem Wissen an ein Projekt, ein start-up, an eine Bewerbung, einen Verkauf sowie an eine berufliche Neu- oder Umorientierung herangehen.

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Autoreninformation

Brigitte Scheidt ist Karriereberaterin, Diplompsychologin, Psychologische Psychotherapeutin und Mitglied der DGfK e.V. Sie unterstützt seit über 20 Jahren erfolgreich Menschen bei beruflicher Neuorientierung und in anderen beruflichen Veränderungsprozessen.